Einleitung
Besondere Umstände ergaben, dass ich nach Konitz (Konice) an den
Südhang des Kuhberges, hinter den Fluss Thaya, südlich von
Znaim kam.
In diesem kleinen Dorf, gefiel es mir so gut, dass ich dort ein
unansehnliches Bauernhaus mit einem Weingarten kaufte. Leute, denen ich
dort begegnete, versicherten mir auf typisch tschechische Art, dass die
von mir geplante Rekonstruktion des Anwesens mit geräumigen
Kellern wirklich der Mühe wert ist: „ Solche Ruine
würde ich nicht einmal gratis nehmen .., um Gotteswillen so viel
Arbeit.., wozu brauchst du das? .., dass du nicht darauf pfeifst
…. usw.“ Bei einer der ersten Besichtigungen des
ausgewählten Anwesens bemerkte ich einen Stein mit der
eingemeißelten Jahreszahl 1737. Das weckte in mir Interesse am
Schicksal der ursprünglichen Bewohner dieses Anwesens, die sowohl
noch die Fronarbeit als auch Napoleonische Kriege, die Entstehung und
den Untergang von Österreich-Ungarn, die Tschechoslowakische
Republik, Sudeten und Protektorat und zum Schluss die Vertreibung im
Jahre 1945, die definitive Unterbrechung der langjährigen
Kontinuität, das Ende aller guten und schlechten Jahre in Konitz,
in einer Mikrowelt der täglichen großen und kleinen Sorgen
und Freuden miterlebt hatten.
Die Historie des 20. Jahrhunderts von Südmähren, also auch
die von Konitz, ist durch tiefes Misstrauen zweier Ethnika
gekennzeichnet, welches die Bemerkung von N. Machiavelli widerspiegelt:
„Wenn als eine Folge der Zufälligkeiten eine Situation
entsteht, dass das Volk niemandem vertraut, weil es in der
Vergangenheit durch Leute oder durch die Umstände betrogen wurde,
dann ist diese Nation unaufhaltsam auf dem Weg in die
Hölle“. Die historischen Dogmen des 20.Jahrhunderts sind
gleichzeitig Halbwahrheiten und Halblügen. Deren Folgen sind keine
gebrochenen Talsperren, havarierende Flugzeuge oder schlechter
Fernsehempfang, sondern durch nationalistisches Gedankengut vergiftete
Seelen.
Ich vermute, dass es während des 20. Jahrhunderts zur Vernichtung
der Mechanismen kam, die die gegenwärtigen Erkenntnisse mit den
Erfahrungen der früheren Generationen verbunden hatten. Die
Mehrheit der heutigen jungen Leute lebt im Zustand der permanenten
Gegenwart und es fehlt ihnen die natürliche Verbindung mit der
eigenen Vergangenheit. Historische Halbwahrheiten und Halblügen
hörten auf, für sie eine Bedeutung zu haben, was deren
langzeitiges Überdauern ermöglicht.
Das Desinteresse an wahrhaftigerer Erkennung der Geschichte,
könnte ein Schlüssel zur unerwünschten Rückkehr der
Herrschaft des Großen Bruders sein („Wer die Vergangenheit
beherrscht, beherrscht auch die Zukunft“; G. Orwell, 1984). Auch
deshalb diese Publikation.
Mein eigenes Schicksal, die Emigration, langjähriger Aufenthalt im
Ausland und die Rückkehr, der Wechsel der ethnischen und
sprachlichen Umgebung führten mich zu der Überzeugung, dass
der Grundstein jeglichen Erfolges des Einzelnen und auch der ganzen
Gesellschaft, vor allem das eigene Engagement ist, so wie die Aussage
(Losung) von J.F. Kennedy lautet: . “Frage nicht, was der Staat
für dich tun kann, sondern was du für den Staat tun
kannst“. Deshalb tue etwas.
Vorliegende Publikation über Konitz ist keine historische Studie,
sondern nur ein Versuch zur Klärung der Motive, die zur Besiedlung
dieses kleinen Gebietes führten und Erkenntnisse zu
veröffentlichen, welche die tradierten Halblügen
einschränken. Der Text der Anmerkungen zur Geschichte von Konitz
ist in drei Kapitel unterteilt. Das erste Kapitel widmet sich den
globalen, sozialpolitischen Bedingungen, die das Leben in der
großen Gemeinschaft von Nationen des
Österreichisch-Ungarischen Kaiserreiches bestimmten. Das zweite
Kapitel ist der Gemeinde Konitz und das Dritte dem Schicksal eines
einzelnen Anwesens gewidmet, das ununterbrochen für 208 Jahre der
Familie Fastenbauer, die mein Interesse weckte, gehört hatte.
Bei meinen Anmerkungen gehe ich von der Überzeugung aus,
dass die Historie nicht nur eine Ansammlung der Jahreszahlen ist,
sondern dass sie auch einen sozialen Charakter hat, eng mit dem Leben
der Menschen und mit den Bedingungen zum Leben in der bestimmten Region
verbunden ist. Deshalb wird die Aufmerksamkeit auch auf die Preise der
Waren und Dienstleistungen, welche die Rentabilität der
Investition garantieren mussten, gerichtet.
Vorliegender Text drückt auch meine Bewunderung für
alle Menschen in der Vergangenheit aus. Für unsere Vorfahren, die
sich einst mit 14 Meter langen Balken plagten, sie transportierten sie
mit großer Mühe, ich weiß nicht wie und ich weiß
nicht woher, um aus ihnen ein 11 Meter hohes Scheunendach zu bauen. Ich
spreche die Bewunderung auch den Leuten aus, die 10 Meter unter der
Oberfläche insgesamt 1000 Kubikmeter Erde für die Keller
ausgruben, in einer Zeit in der nur ein Flaschenzug und ein Hebel als
mechanische Werkzeuge bekannt waren.
Die tschechische und deutsche Ausgabe der Publikation ist mein
persönlicher Beitrag zur Eröffnung des noch nicht
existierenden Dialoges zwischen den neuen Bewohnern des Znaimer Landes
und den Nachfolgern der ehemaligen Bewohner von Konitz. Es ist ein
Versuch, die Spitzen des fast hundert Jahre andauernden Misstrauens und
der Verdächtigung abzubrechen und ein gemeinsames Erinnern
über den alten Fotoalben, ein gemeinsames Zuhören
darüber, was einmal war, wo was wuchs, wo sich die Geliebten
trafen, zu ermöglichen und endlich sich gemeinsam zu entscheiden,
wohin wir gehen, um ein Gläschen guten Weines zu trinken.
Kommen Sie, um zu plaudern. Wir fangen an.